Diffusion einzelner Atome im Lichtbad
Unter Diffusion versteht man ein universelles physikalisches Phänomen, welches die Bewegung von Teilchen in ihrer jeweiligen Umgebung beschreibt, egal ob fest, flüssig oder gasförmig. Die ersten Untersuchungen von Robert Brown und die Erklärungen dazu von Albert Einstein liegen bereits mehr als hundert Jahre zurück: Robert Brown beobachtete die zufällige, unregelmäßige Zitterbewegung von Pollen in einer Flüssigkeit. Einstein und Smoluchowski interpretierten diese „Brownsche Bewegung“ korrekt als Folge der zufälligen Stöße von Flüssigkeitsmolekülen mit den Pollen. Die Diffusion in komplexen Systemen geht noch einen Schritt weiter und kann sehr verschiedene Eigenschaften haben: Tumorbewegung in Lebewesen, DNA Transport in Zellen, Ionenbewegung in Batterien, atomare Bewegung auf Oberflächen – all dies sind Diffusionsvorgänge in komplexen Systemen. An der Aufklärung der zugrundeliegenden Mechanismen besteht großes Interesse, die eines Tages bis weit in alltägliche Anwendungen reichen könnten. Physikalische Untersuchungen an ultrakalten Atomen, die an der TU Kaiserslautern durchgeführt wurden, liefern nun ein Verständnis für die Diffusion in periodischen Strukturen, relevant für verschiedenste komplexe Systeme.
Physiker der TU Kaiserslautern haben zusammen mit Wissenschaftlern der Universitäten Erlangen-Nürnberg und Kyoto in Japan einen wichtigen Schritt zum grundlegenden Verständnis der komplexen Diffusion und der Interpretation ihrer experimentellen Daten gemacht. Für die Studie, die in der renommierten Fachzeitschrift Nature Physics veröffentlicht wurde, entwickelte das Kaiserslauterer Team um Professor Widera (Fachbereich Physik und Landesforschungszentrum OPTIMAS) ein neuartiges Modellsystem: Ein einzelnes Atom wird mit Lasern bis fast auf den absoluten Nullpunkt abgekühlt und in einer Falle aus Licht in einem nahezu perfekten Vakuum gefangen. Das Atom wird dann in eine durch ein Lichtfeld erzeugte Umgebung eingebracht, in der die Licht-Absorption und Licht-Emission der Atome wie Stöße mit einem anderen Teilchen wirken. In dieser Umgebung kann die Diffusion nach Belieben eingestellt und die Bewegung des Atoms mit einer Kamera verfolgt werden. Parallel entwickelten theoretische Physiker aus Erlangen-Nürnberg und Kyoto ein Modell zur Beschreibung der Dynamik des Systems. Zentraler Aspekt hierbei war, die Vorgänge im Hinblick auf die physikalische Größe der Ergodizität zu verstehen. Dank der hervorragenden Übereinstimmung von Experiment und Theorie konnten nun Diffusionsvorgänge jenseits der Brownschen Bewegung verstanden werden. Diese Ergebnisse könnten sich zukünftig auf das Verständnis von verschiedensten komplexen Systemen in Medizin, Biologie, Physik und Technik auswirken.
Grundlagen der Diffusion
Die Bewegung einzelner Zellen im Körper oder der Transport von Ladungsträgern in Energiespeichern sind nur im Zusammenhang mit der jeweiligen Umgebung zu verstehen. Die Teilchen dieser Umgebung stoßen permanent mit einer Zelle oder einem Ladungsträger und beeinflussen so ihre Bewegung. Diese Vorgänge können in vielen Fällen durch die Brownsche Bewegung mit der Theorie von Einstein beschrieben werden. Manchmal lassen sich die Beobachtungen allerdings nicht mit diesem Modell beschreiben, bisweilen kann man dem System diese nicht-Brownsche Dynamik auf den ersten Blick nicht ansehen. Den Wissenschaftlern der drei Universitäten ist es gelungen, sowohl theoretisch als auch experimentell zu zeigen, wie sich in bestimmten komplexen Systemen die Diffusion charakterisieren lässt.
Die Ergodizität als Schlüssel zum Verständnis komplexer Diffusionen
Ein zentraler Aspekt der Studien war es, das atomare System auf Zeitskalen zu untersuchen, die relevant für die Etablierung von Ergodizität sind. Ergodizität ist die Grundlage für die Thermodynamik und eine wichtige Größe für die Beschreibung von Diffusionsvorgängen. In einfachen Worten besagt die Ergodizitätshypothese, dass in einer Ansammlung von Teilchen die Bewegung eines einzelnen Teilchens repräsentativ für das gesamte Ensemble ist. Diese Annahme wird in der Regel allen beobachteten Phänomenen unseres Alltags zugrunde gelegt. Das gilt streng gesehen für die meisten Systeme allerdings nur für sehr große Zeiträume. Die Wissenschaftler konnten in ihrer Studie nun zeigen, dass selbst „normal“ erscheinende Diffusionsvorgänge in bestimmten Fällen die Ergodizität auf überraschend langen Zeitskalen verletzen können. Diese Ergebnisse haben interessante Konsequenzen für das Verständnis der Diffusion in komplexen Systemen und können zum Beispiel helfen, Beobachtungen und Messungen in biologischen Systemen neu zu bewerten und zu interpretieren.
Fragen dazu beantwortet:
Prof. Dr. Artur Widera
TU Kaiserslautern
Tel: 0631-205-4130
E-Mail: widera(at)physik.uni-kl.de
Weitere Informationen:
Nonergodic diffusion of single atoms in a periodic potential
Farina Kindermann, Andreas Dechant, Michael Hohmann, Tobias Lausch, Daniel Mayer, Felix Schmidt, Eric Lutz and Artur Widera
Nature Physics, doi:10.1038/nphys3911